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Falsche Wimpern, echte Kerle

Alexandra Spürk, Kölner Stadt-Anzeiger, Cologne
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Der Schwan ist tot. Er liegt reglos da, auf einem Bett aus weißen Federn. Zuvor ist Tanzer Raffaele Morra als sterbender Schwan auf Spitze vielfach quer über die Bühne getrippelt. Aus den vielen Lagen Stoff seines weißen Tutus sind wieder und wieder Federn gefallen. Eine scheinbar endlose Mauser. Dann haben dem Schwan vermeintlich die Beine versagt. Der rechte Flügel wollte auch nicht mehr so recht schlagen. Das stolze Tier ist in sich zusammen gesackt. Es ist ein Bild von anrührender Poesie. Wären da nicht die Grimassen, die Morra schneidet. Der grell geschminkte Mund verzieht sich wie bei einem Pantomimen zu einer Parodie der Traurigkeit.

Die Kompanie Les Ballets Trockadero de Monte Carlo (kurz „Trocks“) feierte am Dienstag Premiere in der Kölner Philharmonie. Das Ensemble gastiert im Rahmen des Sommerfestivals bis zum 31. Juli in Köln, gegeben werden zwei Programme im Wechsel (siehe „Gastspiel in Köln“). Männer, die auf höchstem Niveau Ballett tanzen, in männlichen und weiblichen Rollen gleichermaßen: Das ist das Konzept, mit dem die Truppe das klassische russische Ballett veralbert und zugleich feiert.

Die Show lebt von Kontrasten und Brüchen. Es gibt Momente, da ist die Illusion perfekt, abgesehen von der verdächtigen Flachbrüstigkeit der Ballerinen. Etwa beim Auszug aus Marius Petipas „La Esmeralda“, in dem Alberto Pretto als unglücklich verliebte Zigeunerin glänzt. Und dann sind da die kleinen Scherze, die sich die „Trocks“ erlauben. Etwa bei der Besetzung: Im Auszug aus ,,Don Quixote” tänzelt ein eher schmächtiger Basil um eine eher muskulöse Kitri. Das ist nichts für Puristen, aber sehr unterhaltsam, zumal während der zeitgenössischen Choreografie „Patterns in Space” (nach Merce Cunningham). Dieses komische Highlight dürfte alle versöhnen, die jemals ratlos vor einem Stück moderner Kunst standen.

Auch ein Auszug aus „Schwanensee“ steht auf dem Programm und Choreografien von überschaubarer Dauer wie beispielsweise (im zweiten Programm) „Go for Barocco“ von George Balanchine. Die „Trocks“ bieten Ballett in Häppchen. Ein bisschen von allem und von allem nicht zu viel. Üppig portioniert sind dagegen die dargestellten Emotionen – das Over-Acting hat bei den „Trocks“ Methode -, das Make-Up und die Kostüme.

Was ist hier eigentlich echt? Die Wimpern der Darsteller sind es nicht. Die Kompanie stammt auch nicht aus Monte Carlo, sondern aus New York, wo sie 1974 gegründet wurde. Die Musik ist es nicht. Die kommt vom Band und das ist, auch wenn es bei der Show nicht um die Musik geht, nun wirklich ein bisschen schade. Sogar die Patzer sind inszeniert. Etwa wenn eine der Ballerinen bei der perfekt symmetrischen Aufstellung ein wenig aus der Reihe tanzt und ihren Fehler mit gespielter Scham zu verbergen versucht. Wahrhaftig indes scheint die Freude der Tänzer an dem, was sie tun.

Der Schwan ist tot. Es lebe der Schwan. Applaus erklingt. Da zuckt doch was“ Raffaele Morra hat seine Handgelenke über Kreuz gelegt, die Handflächen nach oben, macht er fördernde Bewegungen. Das Publikum klatscht lauter. Der Schwan richtet sich auf. Die „Trocks“ leben für Applaus und verdienen sich ihn redlich.