Die Würde des Tanzes ist unantastbar. Auch dann, wenn zarte Tutus über stämmigen Männerbeinen wippen und schwarze Brusthaare aus perlenbesetzten Korsagen quellen, und wenn weiße Ballettstrumpfhosen über strammen Waden spannen und Spitzenschuhe die Größe 47 haben – so wie jetzt zu erleben bei den Tänzern der Ballets Trockadero de Monte Carlo.
Der Name ist Camouflage, denn die Tanztruppe kommt gar nicht aus dem monegassischen Fürstentum, sondern aus New York. Auch ätherisch-elfenhafte Ballerinen sucht man darin vergebens: 1974 gegründet, besteht die Company ausschließlich aus Männern. Und die, allesamt klassisch hervorragend ausgebildet, tanzen sämtliche Rollen, die männlichen wie die weiblichen, und zwar vorzugsweise „en pointe“. Sechzehn grell geschminkte Ballerinos also sind es, die am Dienstag ihr mehrtägiges Gastspiel im Stuttgarter Theaterhaus eröffnen und ihre speziellen Versionen von Ballettklassikern auf die Bühne bringen.
Wer jedoch bei Männerballett an ein Tuntenspektakel und platte Tanzblödeleien denkt, wird im Laufe des zweieinhalbstündigen Abends eines Besseren belehrt: Die „Trocks“, wie sie von ihren Fans in aller Welt genannt werden, liefern virtuose Tanzkunst gepaart mit Comedy.
Dabei machen sie sich in ihren Adaptionen über die Ballett-Klassik jedoch nicht wirklich lustig, sondern erweisen ihr ihre Reverenz – auch bei den „Trocks“ ist die Würde des Tanzes unantastbar. Mehr noch: Mit ihren Rempeleien und Augenaufschlägen, ihren Grimassen und Gag-Gimmicks stoßen sie in gänzlich unbekannte Ballettdimensionen vor.
Es gibt eine klare Dramaturgie: Je länger der Abend, umso niedriger der Ulkfaktor. Los geht es mit einem „Schwanensee“-Klamauk; gezeigt wird der zweite Akt des berühmten Tschaikowski-Balletts. Aber die mit Hebungen und Fouettés gespickte Spitzentanz-Choreografie nach Lew Iwanowitsch Iwanow wird von den „Trocks“ nur punktuell mit derbem Slapstick durchlöchert. Es ist diese wohl dosierte Komik, die die Show zum Erlebnis macht.
So darf Raffaele Morra als Schwanen-Prinzessin Odette zwischendrin mal kurz entnervt mit den Füßen stampfen, mit südländischer Macho-Geste dem halbherzigen Prinzen Siegfried die Meinung geigen und beim Pas de deux herzhaft mit den Armen rudern. Über weite Strecken aber tanzt Morra graziös, elegant und technisch perfekt. Und in den vom muskulösen Männerkörper übersetzten weiblichen Ballett-Bewegungen scheint eine anrührende Wahrhaftigkeit, eine ganz eigenständige Tanzästhetik auf.
Ein tanzartistisches Bravourstück legen Long Zou und Laszlo Majo mit ihrem Pas de deux „Le Corsaire“ hin: Mit formidablen Sprüngen, tollkühnen Flick-Flacks und Pirouetten- Paraden machen sie unmissverständlich klar, dass hier keine Ballettstümper am Werk sind.
Was folgt, ist eine Satire der subtileren Natur: „Go for Barocco“ zu fidelen Bach- Klängen ironisiert die Verehrung der reinen Form des US-Choreografen George Balanchine. Die Tänzer, in schlichten schwarzen Trikots, mit gelber Blume im Haar und Aids-Schleifchen am Träger, geben seiner puristischen Neoklassik einen Touch von Ringelpiez und Friede-Freude-Eierkuchen. Hier ein Schenkel-Schlenker, dort ein Hüftwackler, aber für die schräge Komponente sorgen vor allem Matthew Poppes und Joshua Thakes dezente Drag-Mimik. Tumbe Transen- Klischees haben hier keine Chance, stattdessen wird selbstbewusste Queerness demonstriert.
Die Parodie von Michel Fokines „Sterbendem Schwan“ wiederum ist ein Ausrutscher ins Platte, aber der muss an solch einem Abend erlaubt sein: Carlos Renedo als Maria Paranova – sämtliche zungenbrecherisch verballhornte Rollennamen der Tänzer spielen auf die Diven des Kirow-Balletts an – legt eine Mauser im Turbogang hin: Die Federn fallen ihm haufenweise aus dem Tutu, und alsbald strecken ihn die körperlichen Gebrechen final darnieder. Die Gluckser-und-Jubel-Laune des Publikums lässt sich da schon längst nicht mehr bremsen. Sogar der schnöde rote Vorhang, der das Bühnenbild vom Abschluss-Stück „Paquita“ ziert, wird mit einem Raunen goutiert. Mit dem Grand Pas de Deux von Marius Petipa illustriert die virile Truppe meisterhaft die reine, hehre Ballets-Russes-Tanzkunst, aus der die Primaballerinos nur noch ganz vereinzelt ausscheren.